Was ist in Zeiten von überall steigenden Preisen eigentlich noch der gute alte Handschlag wert? Leider nicht mehr viel, wenn man dem Dortmunder Anwalt Martin Goege zuhört. Er hat sich unter anderem auf Bau- und Immobilienrecht spezialisiert und stolpert in seiner Praxis immer wieder über wütende Handwerker, die den Lohn für geleistete Arbeit nicht erhalten. „Eigentlich gelten die EU-Vorschriften ja schon seit vielen Jahren“, so Goege, „doch die Inhalte von § 356 BGB sind noch nicht in jedes Unternehmen vorgedrungen. Und das ist eigentlich auch kein Wunder.
Wenn man Banken, Versicherungen oder anderen Branchen, die ein Heer von Juristen beschäftigen, so mit dezidierten Forderungen belegt, ist das anders, als wenn man kleinen Handwerksbetrieben das Leben schwer macht.“ Um das komplizierte Rechtsgeschehen möglichst einfach zu erklären, hier ein Beispiel aus der Praxis: Ein privater Hausbesitzer beauftragte nach Angebot einen Dachdecker damit, ein Dach zu reparieren. Vor Ort fiel dem Mann dann auf, dass eigentlich auch seine Garage saniert werden müsste, weil die Dachpappe im Laufe der Jahre undicht wurde. Er bat den Dachdecker, sich das auch gleich anzusehen und die beiden wurden sich per Handschlag einig, dass die Garagendach-Sanierung ebenfalls durch den Dachdecker erledigt werden solle. Dieses Handschlaggeschäft ist aber widerrufbar.
Und an dieser Stelle wird es bereits schwierig. Denn dabei geht es nach der Gesetzeslage um eine Art „Haustürgeschäft“. Hier weiß fast jeder Verbraucher inzwischen, dass er das Zeitschriften-Abo, den aufgeschwatzten Telefonvertrag oder sonstige Dienstleistungen, die gerne von unvermutet klingelnden Vertretern abgeschlossen werden, innerhalb von zwei Wochen wieder widerrufen kann. „Es ist grundsätzlich auch gut, vor solchen Verträgen zu schützen“, sagt Martin Goege, „bei der beschriebenen Situation auf der Baustelle gibt es aber ganz andere
Praxisfremde Vorschriften aus dem Elfenbeinturm
Um dem Paragraphen-Dschungel noch die Krone aufzusetzen, hat die EU dann am 28. Mai 2022 nachgelegt. Unter anderem muss keine Faxnummer mehr in der Widerrufsbelehrung genannt werden, eine Telefonnummer hingegen muss in der Belehrung, darf aber nicht im Widerrufsformular stehen, die Email-Adresse dagegen soll in beiden Formularen auf-geführt sein. Außerdem: „Die Widerrufs-belehrung muss die Verbraucher auch über die Umstände, unter denen sie ein zunächst bestehendes Widerrufsrecht verlieren, informieren.“ Und das sind nur ein paar Beispiele dessen, worüber sich hoch-bezahlte Juristen in Brüssel Gedanken machen. Martin Goege: „Natürlich war der Ansatz richtig, Verbraucher vor Überrumpelungen zu schützen. Hier ist man aber klar übers Ziel hinausgeschossen und die Rechnung zahlen unsere Handwerker, eben, indem sie ihre Rechnungen nicht bezahlt bekommen.“
*Aus TOP Magazin Dortmund, Herbst 2023